Kirchentag 2017: Ich glaube weil ich denke

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Sag‘ wie hältst du’s mit der Religion?

Ich glaube, weil ich denke – Prof. Dr.  Fischbeck, Dr. Kleinert

  1. In unserer wissenschaftlich-technischen Markt-Zivilisation schwindet der Glaube an Gott mehr und mehr aus dem öffentlichen und privaten Bewusstsein. Darin bestärken sich Konsum-Materialismus und weltanschaulicher Materialismus (Naturalismus) gegenseitig. Der Naturalismus als die dominierende Weltanschauung der Moderne hält sich selbst für die weltanschauliche Konsequenz der Natur-Wissenschaft.
  2. Man meint, religiöser Glaube sei entstanden, um sonst Unerklärliches durch das Wirken übernatürlicher (göttlicher) Kräfte zu erklären. Da aber die Wissenschaft eine Erkärungslücke nach der anderen schließen könne, werde religiöser Glaube zunehmend durch Wissen ersetzt und damit überflüssig.
  3. Die ontologische Grund-These des Naturalismus lautet:

           Wirklich ist nur, was man feststellen (messen) kann. Das wird die ‚Natur‘ genannt, in der „alles mit rechten                        Dingen“, d.h. naturgesetzlich, zugeht. Sie ist kausal in sich geschlossen. Übernatürliches ist ein Hirngespinst.

Das entspricht ganz und gar dem Weltbild der klassischen Physik  und  deckt sich weitgehend mit dem, was man im allgemeinen Sprachgebrauch die ‚Realität nennt.

  1. Die Quanten-Theorie revidiert dieses naturalistische Weltbild.

Um derart fundamentale Fakten der ‚Realität‘ wie die Stabilität der Atome und ihr Linienspektrum erklären zu können, musste sie annehmen, dass das Sichtbare, Messbare, Feststellbare, die ‚Realität‘ also, nicht die ganze Wirklichkeit sein kann, sondern dass es dahinter eine andere immaterielle Wirklichkeit geben muss, nämlich die Potentialität, die selbst nicht messbar aber doch wirklich ist, weil sie bestimmt, was mit welcher Wahrscheinlichkeit ‚real‘ werden kann.

Das ist der ontologische Gehalt des viel zitierten Welle-Teilchen-Dualismus. Die Wellenfunktion  ist so etwas wie eine Wahrscheinlichkeitswelle, hat also kein materielles Substrat. Das Teilchen ist es, das im sog. Messprozess mit seinen Messwerten in der ‚Realität‘ erscheint (realisiert wird).

  1. Zusammengefasst lehrt uns die Quanten-Ontologie:

Die Wirklichkeit ist mehr als ‚Realität‘. Sie hat eine

Doppelstruktur aus primärer Potentialität und sekundärer ‚Realität‘.

Der Monismus des Naturalismus, der  die ganze Wirklichkeit mit nur einer ontologischen Grundkategorie, nämlich ‚Natur‘ bzw. ‚Realität‘, erfassen will, ist somit gebrochen. Die Brücke zwischen beiden Wirklichkeitsbereichen schlägt der quantenmechanische

Messprozess (s. umseitig), so dass die ‚Realität‘ nicht mehr kausal in sich geschlossen ist.

  1. Somit hat sich im Verhältnis von Glaube und Wissenschaft das Blatt gewendet: Der Glaube an Gott ist nicht im Konflikt mit Wissenschaft, sondern hat wissenschaftlichen Rückhalt in der Quanten-Ontologie:

Weil Gott nicht beobachtbar ist, ist er in der ‚Realität‘ zwar nicht zu finden, wohl aber in der anderen, der  primären Wirklichkeit der Potentialität als sein Wille, nämlich als die Omnipotentialität des Guten.

  1. Weil das und nur das in Raum und Zeit ist, was man dort finden, d.h. messen kann und weilPotentialität nicht messbar, aber dennoch wirklich ist, existiert sie jenseits von Raum und Zeit und nur die ‚Realität‘ ist in Raum und Zeit.
  2. Sofern die Hypothese prominenter Wissenschaftler (R. Penrose, St. Hameroff) zutrifft, dass das menschliche Bewusstsein verbunden ist mit einem makroskopischen Quantenzustand im Gehirn, dann wäre die Seele anzusehen als die Potentialität dieses bewusstseinstragenden

Quantenzustands, und im Gehirn fänden die „Messprozesse“ statt, die die Gedanken der Seele codieren und somit protokollieren. Demnach hat die Seele in der Tat eine überzeitliche Existenz. Im Tode stirbt das Gehirn als „Protokollant“, die Seele aber bleibt.

Glossar

  1. Ontologie ist die grundlegende Lehre von Wirklichkeit, Sein und Werden.

.     Sie definiert und handelt von Basisbegriffen wie Sein, Nicht-Sein, Raum, Zeit, Unendlichkeit, Materie und Geist.

  1. Die ‚Realität‘ ist der Inbegriff aller beobachtbaren Dinge und Sachverhalte.
  2. Monistisch ist eine Ontologie, die glaubt, mit nur einer Grundkategorie die ganze Wirklichkeit erfassen zu können.
  3. Der sog. Messprozess ist in der Quantenphysik derjenige praktisch-experimentelle Vorgang im Verein mit der zugeordneten Rechenvorschrift für das Ergebnis, der Potentialität in Realität überführt.
  4. P. Dürr drückt dies so aus: „Materie ist geronnene Potentialität“.

Kommentar

Gegenüber der klassischen (naturalistischen) Ontologie rückt die Quanten-Ontologie die o.g. Basisbegriffe in ein völlig neues Licht.

Zwischen der philosophisch-theologischen Tradition und der Quanten-Ontologie gibt es eine erstaunliche Wesensverwandtschaft, die anklingt schon im Prolog des Johannes-Evangeliums: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. … Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“

Literatur

H.J. Fischbeck, Die Wahrheit und das Leben, Herbert Utz Verlag, München, 2005.

  1. Kleinert, Ist die Philosophische Theologie am Ende?, WiSa, Stuttgart, 2013.
  2. Kleinert, Rationale Religiosität, WiSa, Stuttgart, 2015.
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